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Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 2. Juli 2005, 22:09
von Evelyn
Seit zwei Jahren ist mein Mann Defi-Träger. Er hatte in einer Nacht 13 Auslöser der schlimmsten Art. Es warf ihn wie einen Tennisball in der Wohnung herum. Als er in eine Glasvase fiel, war der Blutverlust ein großes Problem, weil er Macumar nehmen muß. In der Herzklinik Lahr wurde er wieder optimal eingestellt und diese Auslöser traten nicht mehr auf, dafür stürzte er ständig völlig unvorhersehbar und fiel aus dem Stand voll auf's Gesicht. Nasenbruch, Stirnwunden bis hin zum Verdacht, daß er das Augenlicht verliert. Auch dies bekam man in der Klinik wieder gut in den Griff
Nun kommt aber MEIN Problem: Mein Mann kann damit inzwischen gut umgehen, aber ich sterbe vor Angst, wenn ihm nur mal was aus der Hand fällt. oder wenn er sich ein paar Minuten länger außerhalb meines Gesichtsfeldes aufhält, gerate ich in Panik und denke an das Schlimmste. Das hat sich inzwischen so sehr gesteigert, daß ich schon unter Atemnot leide und mein Hals bei Aufregung wie zugeschnürt ist. Eine zu Rate gezogene Psychologin wollte mich mit Psycho-Pharmaka vollstopfen - wollte ich aber nicht, weil es nur abtötet, aber keine Ursachen beseitigt.
Vielleicht hilft mir der Austausch mit Menschen, die mit ähnlichen Problemen leben und mir eventuell mal den einen oder anderen Tipp geben. Ich bin für jeden Rat dankbar.
Herzlichst
Evelyn
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 16. Dezember 2005, 20:47
von Elisabeth Brunner
Zitat:
Seit zwei Jahren ist mein Mann Defi-Träger. Er hatte in einer Nacht 13 Auslöser der schlimmsten Art. Es warf ihn wie einen Tennisball in der Wohnung herum. Als er in eine Glasvase fiel, war der Blutverlust ein großes Problem, weil er Macumar nehmen muß. In der Herzklinik Lahr wurde er wieder optimal eingestellt und diese Auslöser traten nicht mehr auf, dafür stürzte er ständig völlig unvorhersehbar und fiel aus dem Stand voll auf's Gesicht. Nasenbruch, Stirnwunden bis hin zum Verdacht, daß er das Augenlicht verliert. Auch dies bekam man in der Klinik wieder gut in den Griff Nun kommt aber MEIN Problem: Mein Mann kann damit inzwischen gut umgehen, aber ich sterbe vor Angst, wenn ihm nur mal was aus der Hand fällt. oder wenn er sich ein paar Minuten länger außerhalb meines Gesichtsfeldes aufhält, gerate ich in Panik und denke an das Schlimmste. Das hat sich inzwischen so sehr gesteigert, daß ich schon unter Atemnot leide und mein Hals bei Aufregung wie zugeschnürt ist. Eine zu Rate gezogene Psychologin wollte mich mit Psycho-Pharmaka vollstopfen - wollte ich aber nicht, weil es nur abtötet, aber keine Ursachen beseitigt.
Vielleicht hilft mir der Austausch mit Menschen, die mit ähnlichen Problemen leben und mir eventuell mal den einen oder anderen Tipp geben. Ich bin für jeden Rat dankbar.
Herzlichst Evelyn
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Ich habe ihre Meldung mit Erschüttern gelesen. Mein Man hat seit einem Jahr einen Defibrillator implantiert und hat gott sei dank noch nie einen "Anschlag" gehabt. Aber auch ich leide unter großen Ängsten. Jede Nacht hocrche ich wie er atmet. Inzwischen habe ich gelernt ein wenig auf mich zu achten, habe ruhig atmen gelernt, auch sonst wäre ich fast erstickt - und lege sein Schicksal jeden Tag in Gottes Hände. Denn mir ist bewußt geworden, dass es seine Entscheidung ist, wenn er gehen will, und ich kein Recht habe und auch überhaupt nichts tun kann, dies zu verhindern. Ich wünsche ihnen viel Kraft. Alles Liebe Brunner Elisabeth
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 16. Dezember 2005, 21:38
von Evelyn
Hallo Elisabeth,
lieben Dank für Ihre tröstenden und verständnisvollen Worte. Ja, auch ich habe zwischenzeitlich gelernt, nicht mehr ständig in übermäßger Angst zu leben. Hilfreich dabei ist natürlich auch, daß sich kein Zwischenfall mehr ereignet hat und mein Mann sich ausgesprochen stabil und wohl fühlt. Möglicherweise kann ich Ihnen damit auch etwas von Ihren eigenen Ängsten nehmen, denn wie ich hier im Forum schon häufiger gelesen habe, ist es nicht zwangsläufig, daß ein Defi-Träger auch Auslöser bekommt.
Ich glaube, wir als Angehörige eines Defi-Trägers sollten einfach dem lebenserhaltenden Nutzen eines solchen Gerätes vertrauen.
Auch ich wünsche Ihnen viel Kraft und alles Gute für Sie und Ihren Mann.
Liebe Grüße
Evelyn
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 16. Dezember 2005, 22:14
von Tom
Zitat: Evelyn
Ich glaube, wir als Angehörige eines Defi-Trägers sollten einfach dem lebenserhaltenden Nutzen eines solchen Gerätes vertrauen.
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Besser hätte mann/frau es nicht sagen können.
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 24. Februar 2006, 01:27
von Andi
Ich kann Euch Ehefrauen von betroffenen Lebenspartnern sehr gut verstehen.
Ich habe heute noch ein bedrückendes Schuldgefühl, weil ich weiß, was meine Frau alles mitmachen musste. Sie saß 4 Tage und Nächte während meines Arrhythmic-Storming-Syndroms an meinem Intensivbett. Sie musste über 100 Mal miterleben, wie ich mich aus dem Leben stehlen wollte und durch die Ärzte wieder zurück geholt wurde (hier nochmals vielen Dank an die Ärzte des Klinikums Villingen). Das hat meine Frau schon sehr mitgenommen, derzeit muss ihr hoher Blutdruck (sie hatte zuvor ausgesprochen niedrigen Blutdruck) immer noch medikamentös behandelt werden.
Und mir kommen in einsamen Stunden immer noch die Tränen, wenn ich nur daran denke, was meine Frau und meine Kinder "wegen mir" durchstehen mussten. Auch gerade jetzt, wenn ich darüber schreibe.
Aber aus meiner gemachten Erfahrung (Angina Pectoris, Bypass-OP, Hinterwandinfarkt bei OP, Kammerflimmern in der Reha, Arrhythmic-Storming-Syndrom, 8 Tage Koma, Defi-Implantation) kann ich sagen: das A&O ist eine perfekte Aufklärung. Und die fanden WIR im Klinikum Villingen bei Ärzten und Pflegern, für die wir nie Nummern waren und die immer für UNS da waren. Meine Frau, die sich einfach nicht wegschicken ließ, wurde bei meiner Pflege mit einbezogen und bekam vom Personal ein Zimmer im Schwesternwohnheim gestellt, wo sie zwischendurch schlafen konnte. Auch sonst hat man sich immer um sie gekümmert und ein Arzt hat ihr versprochen, mich nicht einfach sterben zu lassen (er hat später zugegeben, dass er gepokert hat und das nur, weil er meiner guten körperlichen Verfassung und meinen 47 Jahren vertraut hat).
Die Ärzte, die immer zu einem Gespräch bereit waren, wenn wir danach gefragt haben, haben es verstanden, uns die Angst zu nehmen und uns das Leben nach der Defi-Implantation als Chance für einen Neuanfang schmackhaft zu machen.
Ich gehe immer noch gerne zu meinen 3-monatlichen Kontrollen ins Klinikum Villingen und freue mich immer wieder, den einen oder anderen Arzt oder Pfleger/Pflegerin zu treffen.
Ich für meinen Fall habe offen mit meiner Frau über das Thema "Sterben" gesprochen. Jetzt, da ich weiß, wie schnell es gehen kann (und dass es schmerzlos abläuft - in meinem Fall zumindest) und ich mir Gedanken darüber gemacht habe, dass ich beinahe meine Frau unvorbereitet alleine gelassen habe, habe ich alles Erforderliche schriftlich fixiert: ich habe jetzt eine Patientenverfügung, meine Beerdigung ist geplant. Es ist alles aufgeschrieben, was zu tun ist: welche Versicherungen werden wo fällig, wo kann sie sich Unterstützung holen, wo werden ihre Witwen-Pensionsansprüche durchgesetzt, wo findet sie was.
Mit meiner Familie habe ich geklärt, dass selbst im Falle meines Ablebens das Leben für sie weitergehen soll und auch wird.
Und damit war das Thema "Sterben" endgültig behandelt, bearbeitet und dann abgehakt. Meine Frau schläft wieder gut, kann zu Arbeit gehen und mich zu Hause lassen. Ich gehe mittlerweile auch wieder arbeiten. Einen Hund haben wir uns angeschafft und - zu guter Letzt - haben wir uns ein neues Auto gekauft. Einfach so zum Spaß. Das alles sind Anzeichen dafür, dass für uns das Leben dort weitergeht, wo es im Juni 2005 kurzfristig unterbrochen worden war. Das war übrigens auch das, was mich nach meinem Koma binnen kürzester Zeit aus dem Bett geholt hat: ich wollte mein altes Leben zurück!
Ich habe vor, mit meiner Frau zusammen alt zu werden. So alt wie es nur geht.
Ich kann nur allen mit Angst- und/oder Panik-Attacken dazu raten, offen über die Thematik zu sprechen und auch "das Unaussprechliche" nicht auszugrenzen. Die ganze Familie muss mit einbezogen werden und es muss danach wirklich alles geklärt sein. Wenn es denn nicht anders geht, darf man nicht zögern, auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Angst muss vom Tisch, denn damit ist ein weitgehend normales Leben nur schwer möglich.
Liebe Grüße an alle
Andi
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 24. Februar 2006, 09:25
von Tom
Hallo Andi,
las mich dir im Namen aller Forum-Mitglieder meinen Dank aussprechen für diesen Beitrag. Deine offene Art wie du diese Zeilen nieder geschrieben hast ist bewundernswert!
Du hast Recht indem du schreibst das man über seine Angst sprechen muss, es bringt absolut nichts sich zu verschließen und zu meinen alleine damit klar zu kommen!
Diesbezüglich möchte ich auch noch einmal auf die Jahrestagung der Defi-Liga hinweisen die am 11.-12. März statt findet. Eines der Schwerpunkte das Thema Angst. Weiter findet eine Arbeitsgruppe statt die sich mit dem Thema befasst: Mein Partner hat einen Defi, wie verhalte ich mich?
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 24. Februar 2006, 10:11
von Geli
Hallo Andi,
dein Bericht ist super gut zu lesen. Du hast gemerkt wie schnell die Krankheit alles verändert im Leben. Dein Bericht gibt vielleicht vielen Mut neu zu denken oder umzudenken. Viele Gedanken und Gefühle kommen mir sehr bekannt vor. Für viele ist das Thema sterben tabu. Für mich war es auch wichtig nach meiner Reanimation bestimmte Dinge zu regeln. Ich war damals alleine mit einem Kind. Ich hatte die blanke Angst im Nacken. Heute ist fast alles gut verarbeitet und auch geregelt. . Mein Leben macht mir wieder Freude, (und das mit dem Auto habe ich auch gemacht etwas später zwar)
Lebe und (schreibe) weiter so wie es dir oder euch gut tut.
Und an Tom: Ich freu mich schon auf die Jahrestagung der Defi-Liga!
Mit freundlichen Grüßen
Geli
RE
Verfasst: 24. Februar 2006, 23:21
von Andi
Hallo Geli, Hallo Tom,
vielen Dank für die Blumen.
Durch meine offene Schilderung im Forum versuche ich nicht nur, anderen zu helfen; es hilft mir selbst auch. Das ist eine weitere Art, Erlebtes zu verarbeiten.
Wenn es mir einer nachtun möchte: nur zu. Ich lese alles.
Gruß
Andi
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 4. April 2007, 22:10
von Holger
Meine Frau hat seit letzter Woche einen Defi und noch kann ich eigentlich gar nichts sagen über das, was sich in unserem Leben (besonders natürlich für sie) ändert. Wir haben eine wirklich harte Zeit. Mit Intensivstation, Herzstillstand usw. hinter uns und ich persönlich bin zwar froh, dass es ihr jetzt wieder langsam besser geht, aber Angst generell bleibt.
Meine Frau selber hat's alles noch nichtmal ansatzweise verarbeitet. So gesehen ist es im Moment ziemlich "anstrengend" mit ihr, entweder sie ist vollkommen gut drauf oder zieht sich komplett in sich zurück (die Phase war heute wieder).
Ich denke, es wird sich alles "einspielen" und ich versuche ihr so gut wie möglich eben zur Seite zu stehen (oder sie in Ruhe zu lassen), aber anstrengend ist es schon insofern, dass man als Angehöriger doch irgendwie das Wechselbad der Gefühle mitmacht.
Re: Die Angst als Angehöriger
Verfasst: 8. August 2007, 14:14
von KathrinG
Hallo
Ich habe seit Ende 2004 meinen Defi und mein Mann hat seit diesem Tag mindestens so sehr gelitten wie ich.
Ich hatte im Dezember 2004 an einem Abend 20 inadäquate Schockabgaben mit der vollen Ladung von 360 Joule.
Ich war so sehr in Panik und hatte so starke Schmerzen, dass ich gehofft habe, zu sterben.
Natürlich war es gefährlich und falsch, aber mein Mann hat mich die ganze Zeit festgehalten, bis der Notarzt kam.
Ich wurde wieder operiert, die Sonde wurde revidiert, und 2 Wochen nach der Entlassung ging das Ding wieder los. Jetzt hatte ich aber zum Glück einen Magneten und konnte die Schockabgabe stoppen.
Ich habe den Defi dann auf eigene Verantwortung ausstellen lassen, weil ich mich sonst wahrscheinlich aus lauter Angst umgebracht hätte.
Ich habe 2 Jahre gebraucht, bis ich mich im November 2006 in einem anderen Klinikum ein 3. mal hab operieren lassen.
Aber mein Mann hat in den 2 Jahren keine Nacht mehr durchgeschlafen, aus Angst, dass ich nicht mehr aufwache.
lg, Kathrin